Cauchy-Verteilung

Dieser Artikel behandelt die mathematischen Eigenschaften, für Anwendungen in der Physik siehe Lorentzkurve.

Die Cauchy-Verteilung (nach Augustin Louis Cauchy) ist eine stetige, leptokurtische (supergaußförmige) Wahrscheinlichkeitsverteilung.

Pendel der Länge s {\displaystyle s} mit Ruheposition t {\displaystyle t} und Auslenkungswinkel U {\displaystyle U} . Ist U {\displaystyle U} gleichverteilt, so ist die Auslenkung X {\displaystyle X} Cauchy-verteilt.

Anschaulich gesprochen beschreibt sie die tangentiale Auslenkung eines Pendels. Hat das Pendel die Länge s {\displaystyle s} , Ruheposition t {\displaystyle t} und einen über dem Intervall ( 90 ° , 90 ° ) {\displaystyle (-90{\text{°}},90{\text{°}})} gleichverteilten Auslenkungswinkel U {\displaystyle U} , so ist die Position X = s tan ( U ) + t {\displaystyle X=s\tan(U)+t} Cauchy-verteilt mit den Parametern s {\displaystyle s} und t {\displaystyle t} .[1]

Die Cauchy-Verteilung tritt außerdem als die Verteilung einer Zufallsvariable Z = X / Y {\displaystyle Z=X/Y} auf, die das Verhältnis zweier Zufallsvariablen X {\displaystyle X} und Y {\displaystyle Y} mit einer rotationsinvarianten gemeinsamen Dichte ist (z. B. zwei unabhängige zentrierte normalverteilte Zufallsvariablen).[2]

Ferner ist sie in der Physik für eine genäherte Beschreibung von Resonanz von Bedeutung. Sie wird dort Resonanzkurve oder Lorentzkurve (nach Hendrik Antoon Lorentz) genannt. Daher gibt es auch die Bezeichnungen Lorentz-Verteilung und Cauchy-Lorentz-Verteilung.

Definition

Dichtefunktion (oben) und Verteilungsfunktion (unten) der Cauchy-Verteilung für verschiedene Werte der beiden Parameter. Dabei entspricht γ {\displaystyle \gamma } im Bild s in der nebenstehenden Gleichung und x 0 {\displaystyle x_{0}} entspricht t.

Eine Zufallsvariable X {\displaystyle X} hat eine Cauchy-Verteilung mit Zentrum t R {\displaystyle t\in \mathbb {R} } und Breitenparameter s > 0 {\displaystyle s>0} , wenn sie die auf ganz R {\displaystyle \mathbb {R} } definierte Wahrscheinlichkeitsdichte

f ( x ) = 1 π s s 2 + ( x t ) 2 {\displaystyle f(x)={\frac {1}{\pi }}\cdot {\frac {s}{s^{2}+(x-t)^{2}}}}

besitzt. Hierfür schreibt man auch symbolisch X C ( t , s ) {\displaystyle X\sim \mathrm {C} (t,s)} und sagt, dass X {\displaystyle X} Cauchy-verteilt (zu t {\displaystyle t} und s {\displaystyle s} ) ist.[3]

Die spezielle Cauchy-Verteilung zu den Parametern t = 0 {\displaystyle t=0} und s = 1 {\displaystyle s=1} , also mit der Wahrscheinlichkeitsdichte

f ( x ) = 1 π ( 1 + x 2 ) {\displaystyle f(x)={\frac {1}{\pi (1+x^{2})}}} ,

heißt Standard-Cauchy-Verteilung. Für eine standard-Cauchy-verteilte Zufallsvariable X {\displaystyle X} schreibt man entsprechend X C ( 0 , 1 ) {\displaystyle X\sim \mathrm {C} (0,1)} .

Eigenschaften

Verteilungsfunktion

Die Verteilungsfunktion der Cauchy-Verteilung ist

F ( x ) = 1 2 + 1 π arctan ( x t s ) {\displaystyle F(x)={\frac {1}{2}}+{\frac {1}{\pi }}\cdot \arctan \left({\frac {x-t}{s}}\right)} .

Die Verteilungsfunktion der Standard-Cauchy-Verteilung lautet insbesondere ( t = 0 , s = 1 {\displaystyle t=0,s=1} )

F ( x ) = 1 2 + 1 π arctan ( x ) {\displaystyle F(x)={\frac {1}{2}}+{\frac {1}{\pi }}\cdot \arctan(x)} .

Erwartungswert, Varianz, Standardabweichung, Momente

Die Cauchy-Verteilung ist eine Verteilung, die weder Erwartungswert noch Varianz oder Standardabweichung besitzt, sie sind unbestimmt. Dementsprechend besitzt sie auch keine endlichen Momente und keine momenterzeugende Funktion.

Quantile

Die Qantile erhält man aus der Quantilfunktion

F 1 ( p ) = s tan ( π ( p 1 / 2 ) ) + t {\displaystyle F^{-1}(p)=s\cdot \tan(\pi (p-1/2))+t} .

Median, Modus, Quartilabstand

Die Cauchy-Verteilung besitzt den Median bei t {\displaystyle t} , den Modus ebenfalls bei t {\displaystyle t} , und den Quartilsabstand 2 s {\displaystyle 2s} .

Symmetrie

Die Cauchy-Verteilung ist symmetrisch zum Parameter t {\displaystyle t} .

Entropie

Die Entropie beträgt log ( 4 π s ) {\displaystyle \log(4\pi s)} .

Charakteristische Funktion

Die charakteristische Funktion der Cauchy-Verteilung ist y exp ( i t y s | y | ) {\displaystyle y\mapsto \exp(ity-s|y|)} .

Reproduktivität

Die Cauchy-Verteilung gehört zu den reproduktiven Wahrscheinlichkeitsverteilungen: Der arithmetische Mittelwert

X ¯ = X 1 + X 2 + + X n n {\displaystyle {\overline {X}}={\frac {X_{1}+X_{2}+\dotsb +X_{n}}{n}}}

aus n {\displaystyle n} standard-Cauchy-verteilten Zufallsvariablen ist selbst standard-Cauchy-verteilt. Insbesondere gehorcht die Cauchy-Verteilung also nicht dem Gesetz der großen Zahlen, das für alle Verteilungen mit existierendem Erwartungswert (siehe Satz von Etemadi) gilt. Ferner gilt auch der zentrale Grenzwertsatz nicht.

Invarianz gegenüber Faltung

Die Cauchy-Verteilung ist invariant gegenüber Faltung, das heißt, die Faltung einer Lorentz-Kurve der Halbwertsbreite Γ a {\displaystyle \Gamma _{a}} und einem Maximum bei t a {\displaystyle t_{a}} mit einer Lorentz-Kurve der Halbwertsbreite Γ b {\displaystyle \Gamma _{b}} und einem Maximum bei t b {\displaystyle t_{b}} ergibt wieder eine Lorentz-Kurve mit der Halbwertsbreite Γ c = Γ a + Γ b {\displaystyle \Gamma _{c}=\Gamma _{a}+\Gamma _{b}} und einem Maximum bei t c = t a + t b {\displaystyle t_{c}=t_{a}+t_{b}} . Somit bildet die Cauchy-Verteilung eine Faltungshalbgruppe.

Beziehung zwischen der Cauchy-Verteilung und der Standard-Cauchy-Verteilung

Ist eine Zufallsvariable X {\displaystyle X} standard-Cauchy-verteilt, so ist die transformierte Zufallsvariable Y = s X + t {\displaystyle Y=sX+t} (mit t R {\displaystyle t\in \mathbb {R} } und s > 0 {\displaystyle s>0} ) Cauchy-verteilt zu t {\displaystyle t} und s {\displaystyle s} . Umgekehrt gilt: Ist Y {\displaystyle Y} Cauchy-verteilt mit den Parametern s {\displaystyle s} und t {\displaystyle t} , dann ist X = Y t s {\displaystyle X={\frac {Y-t}{s}}} standard-Cauchy-verteilt.

Beziehungen zu anderen Verteilungen

Beziehung zur stetigen Gleichverteilung

Ist U {\displaystyle U} auf dem Intervall ( π 2 , π 2 ) {\displaystyle (-{\tfrac {\pi }{2}},{\tfrac {\pi }{2}})} stetig gleichverteilt, dann ist X = tan ( U ) {\displaystyle X=\tan(U)} standard-Cauchy-verteilt. Entsprechend ist Y = s X + t {\displaystyle Y=sX+t} Cauchy-verteilt mit den Parametern s {\displaystyle s} und t {\displaystyle t} . Dies motiviert das Beispiel der Pendel-Auslenkung.

Beziehung zur Normalverteilung

Sind X , Y {\displaystyle X,Y} zwei unabhängige standardnormalverteilte Zufallsvariablen, dann ist der Quotient Z = X Y {\displaystyle Z={\tfrac {X}{Y}}} standard-Cauchy-verteilt.[4] Etwas allgemeiner gilt, dass der Quotient von zwei unabhängigen, zentrierten normalverteilten Zufallsvariablen Cauchy-verteilt ist.

Beziehung zur studentschen t-Verteilung

Die Standard-Cauchy-Verteilung ist der Spezialfall der studentschen t-Verteilung t n {\displaystyle {\mathcal {t}}_{n}} mit einem Freiheitsgrad n = 1 {\displaystyle n=1} .

Beziehung zur Lévy-Verteilung

Die Cauchy-Verteilung ist eine spezielle α-stabile Verteilung mit dem Exponentenparameter α = 1 {\displaystyle \alpha =1} .

Anwendungsbeispiel

Bei der Cauchy-Verteilung als Vertreter der Heavy-tailed-Verteilungen ist die Wahrscheinlichkeit für extreme Ausprägungen sehr groß. Sind die 1 % größten Werte einer standardnormalverteilten Zufallsvariablen X {\displaystyle X} mindestens 2,326, so beträgt bei einer standard-Cauchy-verteilten Zufallsvariablen die entsprechende Untergrenze 31,82. Möchte man die Auswirkung von Ausreißern in Daten auf statistische Verfahren untersuchen, verwendet man häufig Cauchy-verteilte Zufallszahlen in Simulationen.

Zufallszahlen

Zur Erzeugung Cauchy-verteilter Zufallszahlen bietet sich die Inversionsmethode an. Die nach dem Simulationslemma zu bildende Pseudoinverse der Verteilungsfunktion F ( x ) {\displaystyle F(x)} lautet hierbei F 1 ( y ) = cot ( π y ) {\displaystyle F^{-1}(y)=-\cot(\pi y)} (siehe Kotangens). Zu einer Folge von Standardzufallszahlen u i {\displaystyle u_{i}} lässt sich daher durch x i := cot ( π u i ) {\displaystyle x_{i}:=-\cot(\pi u_{i})} , oder wegen der Symmetrie auch durch x i := cot ( π u i ) {\displaystyle x_{i}:=\cot(\pi u_{i})} , eine Folge standard-Cauchy-verteilter Zufallszahlen berechnen.

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Bühler: Die Cauchy-Verteilung und das Gesetz der großen Zahlen. In: Monoid. Jahrgang 30, Nr. 103. Universität Mainz, 2010, S. 16–18 (uni-mainz.de [PDF]). 
  2. Norbert Henze: Stochastik: Eine Einführung mit Grundzügen der Maßtheorie. Springer Spektrum, Berlin 2019, ISBN 978-3-662-59562-6, S. 144. 
  3. Norbert Henze: Stochastik für Einsteiger. 13. Auflage. Springer, Berlin 2021, ISBN 978-3-662-63839-2, S. 314. 
  4. Joseph K. Blitzstein Jessica Hwang: Introduction to Probability. CRC Press, 2015, ISBN 978-1-4665-7559-2, S. 294–295 (archive.org [PDF]). 

Literatur

  • William Feller: An Introduction to Probability Theory and Its Applications: 1. 3. Auflage. Wiley & Sons, 1968, ISBN 0-471-25708-7. 
  • William Feller: An Introduction to Probability Theory and Its Applications: 2. 2. Auflage. John Wiley & Sons, 1991, ISBN 0-471-25709-5. 

Weblinks

Commons: Cauchy-Verteilung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Siehe auch

Diskrete univariate Verteilungen

Diskrete univariate Verteilungen für endliche Mengen:
Benford | Bernoulli | beta-binomial | binomial | Dirac | diskret uniform | empirisch | hypergeometrisch | kategorial | negativ hypergeometrisch | Rademacher | verallgemeinert binomial | Zipf | Zipf-Mandelbrot | Zweipunkt

Diskrete univariate Verteilungen für unendliche Mengen:
Boltzmann | Conway-Maxwell-Poisson | discrete-Phase-Type | erweitert negativ binomial | Gauss-Kuzmin | gemischt Poisson | geometrisch | logarithmisch | negativ binomial | parabolisch-fraktal | Poisson | Skellam | verallgemeinert Poisson | Yule-Simon | Zeta

Kontinuierliche univariate Verteilungen

Kontinuierliche univariate Verteilungen mit kompaktem Intervall:
Beta | Cantor | Kumaraswamy | raised Cosine | Dreieck | Trapez | U-quadratisch | stetig uniform | Wigner-Halbkreis

Kontinuierliche univariate Verteilungen mit halboffenem Intervall:
Beta prime | Bose-Einstein | Burr | Chi | Chi-Quadrat | Coxian | Erlang | Exponential | Extremwert | F | Fermi-Dirac | Folded normal | Fréchet | Gamma | Gamma-Gamma | verallgemeinert invers Gauß | halblogistisch | halbnormal | Hartman-Watson | Hotellings T-Quadrat | hyper-exponentiale | hypoexponential | invers Chi-Quadrat | scale-invers Chi-Quadrat | Invers Normal | Invers Gamma | Kolmogorow-Verteilung | Lévy | log-normal | log-logistisch | Maxwell-Boltzmann | Maxwell-Speed | Nakagami | nichtzentriert Chi-Quadrat | Pareto | Phase-Type | Rayleigh | relativistisch Breit-Wigner | Rice | Rosin-Rammler | shifted Gompertz | truncated normal | Type-2-Gumbel | Weibull | Wilks’ Lambda

Kontinuierliche univariate Verteilungen mit unbeschränktem Intervall:
Cauchy | Extremwert | exponential Power | Fishers z | Fisher-Tippett (Gumbel) | generalized hyperbolic | Hyperbolic-secant | Landau | Laplace | alpha-stabil | logistisch | normal (Gauß) | normal-invers Gauß’sch | Skew-normal | Studentsche t | Type-1-Gumbel | Variance-Gamma | Voigt

Multivariate Verteilungen

Diskrete multivariate Verteilungen:
Dirichlet compound multinomial | Ewens | gemischt Multinomial | multinomial | multivariat hypergeometrisch | multivariat Poisson | negativmultinomial | Pólya/Eggenberger | polyhypergeometrisch

Kontinuierliche multivariate Verteilungen:
Dirichlet | GEM | generalized Dirichlet | multivariat normal | multivariat Student | normalskaliert invers Gamma | Normal-Gamma | Poisson-Dirichlet

Multivariate Matrixverteilungen:
Gleichverteilung auf der Stiefel-Mannigfaltigkeit | Invers Wishart | Matrix Beta | Matrix Gamma | Matrix invers Beta | Matrix invers Gamma | Matrix Normal | Matrix Student-t | Matrix-Von-Mises-Fisher-Verteilung | Normal-invers-Wishart | Normal-Wishart | Wishart